Das Reisethema

Geschichte in Geschichten:
Schwäbische Reichsstädte II

von Rolf Lohberg

Hier regierte der Bürgerstolz

Reichsstadt zu werden, war nicht einfach. Am besten hatten es Orte, die schon seit Generationen der jeweils aktuellen Kaiserfamilie gehörten.

Oder die Kaiserpfalzen, die ja eine Art von Staatshotels darstellten (wenn sie auch die Vollpension für ihre hochgestellten Gäste meist selbst zahlen mussten). Manche Orte wurden vom Kaiser schlichtweg zur Reichsstadt bestimmt. Aber meist war es doch so, dass die Städte sich selbst nach und nach freikauften. Durch Handel und Wandel verdienten sie mehr Geld, als ihr Landesherr je in seinen Truhen haben würde. So verkaufte er nach und nach so viele Privilegien an die Stadt, dass er schliesslich gar nichts mehr zu sagen hatte. Dann war allenfalls ein kleiner Waffengang nötig, bis die Stadt ihre volle Freiheit hatte - und daraufhin in die Reichssteuerliste eingetragen wurde. Denn irgendjemand kassierte immer.

Im Schwäbischen lief es - während des 12. und 13. Jahrhunderts - vielfach so, dass die Städte sich nach und nach freikauften. Und weil die Schwaben (zu denen in diesem Fall auch die Elsässer jenseits des Rheins gerechnet werden müssen) schon immer arbeits- und sparsam, ausserdem aber im Notfall auch sehr streitlustig waren, konnten sie sich das leisten. Die Landkarte zwischen Neckarmündung und Bodensee zeigte alsbald dreimal so viele Reichsstadte wie das ganze übrige Deutsche Reich.

Das blieb weitgehend so bis zum Jahre 1802, als es Napoleon einfiel, die Welt neu zu verteilen. Er gab die Reichsstädte ihren jeweiligen Landesherren zurück - als Ersatz für die Ländereien, die er selbst ihnen weggenommen hatte.

Aber in den 600 oder 700 Jahren davor hatten die Städte so viel an Macht, Pracht und Reichtum angesammelt, dass viele getrost auf ihre ertragreiche Historie zurückblicken konnten. Und das galt für die ganz kleinen wie Bopfingen am Ipf oder Buchau am Federsee genauso wie die für die ganz grossen wie Ulm oder Esslingen.

Dieses Esslingen hatte schon im Jahr 800 das Marktrecht und war irgendwann im 13. Jahrhundert aus eigener Kraft eine freie Stadt geworden. Mit ihrer noch heute intakten sehr schönen Altstadt, mit Toren und Türmen aus der Stauferzeit und Deutschlands ältester zusammenhängender Fachwerk-Häuserzeile verkörperte sie bis 1802 die reichsstädtische geballte Macht schlechthin. Wenn man auf dem grossen Marktplatz steht, spürt man noch heute, dass die Esslinger dem benachbarten Stuttgart, der Landeshauptstadt, nur mit Nachsicht begegnen.

Vor allem wird deutlich: Hier gab es zwar eine feste Burg (deren Reste liebevoll die städtischen Weinberge schützen), aber - anders als in Stuttgart - kein herrschaftliches Schloss. Reichsstädte waren Bürgerstädte. Das Alte Rathaus am Markt ist ein unbeschädigtes Symbol gutbügerlicher demokratischer Stadtverwaltung. Und das Neue Rathaus gegenüber sieht nur aus wie ein Schloss. In Wirklichkeit war es das Palais eines sehr wohlhabenden Bürgers (von denen es in Esslingen zu allen Zeiten beträchtlich viele gab - und noch gibt).

>> Schwäbische Reichsstädte III


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